5 Gründe, warum es sich lohnt, auf Englisch beraten zu können
Sind Sie schon dabei, auf Englisch zu beraten? Wenn ja, werden Sie sich beim Lesen des Artikels bestärkt fühlen. Wenn Sie noch unsicher sind und sich fragen, ob es sinnvoll ist, Beratung, Coaching und Therapie auch auf Englisch anzubieten, lesen Sie unbedingt weiter.
Es gibt gute Gründe, als Beraterin, Coach oder Therapeut die eigenen Englischkenntnisse auszubauen und in die berufliche Praxis zu integrieren. Hier sind die wichtigsten Gründe auf einen Blick:
- Die Anzahl der Englisch sprechenden Menschen in Deutschland steigt.
- Die deutsche Sprache ist für viele Zuwanderer mit großen Hürden verbunden.
- Sie erreichen mehr Menschen mit Ihrem Beratungs-, Coaching- oder Therapieangebot.
- Sie entdecken neue Seiten an sich und erleben persönliches Wachstum.
- Sie erschließen sich neue berufliche Möglichkeiten.
Die Gründe im Einzelnen:
1. Die Anzahl der Englisch sprechenden Menschen in Deutschland steigt
Die Zahl der Nettozuwanderung (Zuzüge minus Fortzüge) in Deutschland betrug letztes Jahr 1,5 Millionen. Die meisten davon waren Ukrainer; darüber hinaus kamen Menschen aus vielen anderen Ländern, oft aus anderen europäischen Staaten (Statista und Demografie Portal).
Interessant ist der Zuzug von Menschen aus Indien. Hier sind die Steigerungen signifikant. Allein in den letzten 10 Jahren hat sich die Zahl der InderInnen in Deutschland mehr als verdreifacht (von 60.000 im Jahr 2012 auf 210.000 im Jahr 2022). Dieser Trend wird sich meiner Ansicht nach fortsetzen: Stichworte sind der Fachkräftemangel sowie die Initiative der Bundesregierung, Fachkräfte aus dem Ausland zu werben. So reiste Bundeskanzler Olaf Scholz Anfang dieses Jahres nach Indien, um Fachkräfte dort zu werben. Auch Arbeitsminister Hubertus Heil begab sich auf den Subkontinent, um eine klare Botschaft zu senden: Es seien qualifizierte Fachkräfte aus „allen Branchen“ willkommen – IT, Pflege, Dienstleistungen, Gastronomie. Bürokratische Hürden sollen abgebaut, Einreisevisa auch ohne konkretes Jobangebot erteilt werden (ZDF).
Es bleibt abzuwarten, welche Auswirkungen das moderne Einwanderungsgesetz und der Abbau von bürokratischen Hürden haben werden. Sicher ist, dass es in Indien viele qualifizierte Fachkräfte gibt, aber nicht genügend Jobs. Umgekehrt leidet die deutsche Wirtschaft unter einem massiven Fachkräftemangel und die Politik ist entschlossen, Barrieren abzubauen und Anreize für qualifizierte ZuwanderInnen zu schaffen.
Viele Menschen in Indien sprechen gutes bis fließendes Englisch, da Englisch eine der beiden Amtssprachen im Land ist. InderInnen wachsen also mit der Sprache auf und haben oft ihr Studium auf Englisch absolviert.
2. Die deutsche Sprache ist für viele Zuwanderer mit großen Hürden verbunden
Das wusste schon Mark Twain, der sich ausgiebig mit der deutschen Sprache befasste und 1880 einen satirischen Text mit dem Titel „The Awful German Language“ verfasste. Die Probleme, die er humorvoll beschrieb, dürften auch Deutschlernern noch heute vertraut sein:
„Es gibt zehn Wortarten, und alle zehn machen Ärger. Ein durchschnittlicher Satz in einer deutschen Zeitung (...) enthält sämtliche zehn Wortarten – nicht in ordentlicher Reihenfolge, sondern durcheinander; er besteht hauptsächlich aus zusammengesetzten Wörtern, die der Verfasser an Ort und Stelle gebildet hat, sodass sie in keinem Wörterbuch zu finden sind (…).“
Wer Post von Behörden kommt, weiß, dass auch der deutsche Akademiker mit seiner Muttersprache oft überfordert ist. Als ich nach England zog, habe ich problemlos die Schreiben englischer Behörden verstanden – vom ersten Jahr an! Doch 30 Jahre in Deutschland, der Besuch eines deutschen Gymnasiums, ein deutsches Abitur und ein abgeschlossenes deutschsprachiges Studium sind keine Garanten dafür, auf Anhieb den Brief des Jobcenters oder Finanzamts zu verstehen.
Wenn es mir so geht, wie muss es dann einem zugewanderten Menschen gehen? Viele werden nicht die Kraft und die Motivation aufbringen, um Deutsch auf C2-Niveau (das höchste Niveau) des Europäischen Referenzrahmens zu beherrschen. Und selbst die, die es tun, werden viele Schriftstücke im Deutschen weiter als mysteriös empfinden.
Die deutsche Sprache kann auch nicht mit ihrer Anziehungskraft punkten. Sie hat nicht die Eleganz des Französischen, die Hipness des Englischen oder den Charme des Holländischen. Natürlich gibt es individuelle Vorlieben und manch einer hat den Ehrgeiz, Goethe oder Hesse im Original zu lesen und sich so die Schönheit der deutschen Sprache zu erschließen, doch das betrifft sicher nicht den großen Teil der hierher kommenden Menschen.
All dies zusammengenommen führt dazu, dass sich viele Zugewanderte weiter auf Englisch verständigen werden, weil die Hürden niedriger sind und Menschen in Deutschland zum Glück oft bereit sind, Englisch zu sprechen. Profunde Deutschkenntnisse, die alle Lebensbereiche abdecken, sind deshalb nicht notwendig, um gut zurechtzukommen.
3. Sie erreichen mehr Menschen mit Ihrem Beratungs- oder Therapieangebot
Mit dem Angebot einer englischsprachigen Beratung oder Therapie setzen Sie neue Akzente in Ihrer Praxis. Sie erreichen mehr Menschen und heben sich von anderen BeraterInnen und TherapeutInnen deutlich ab.
Ihr Angebot wird inklusiver – denn Sie schaffen Räume für Menschen aus verschiedenen Regionen der Welt – um gehört zu werden, Herausforderungen zu bearbeiten und im Land anzukommen. Dabei profitieren nicht nur englische Muttersprachler, sondern auch viele Menschen, für die Englisch eine Zweit- oder Drittsprache ist – Menschen aus afrikanischen Ländern wie Ghana, Nigeria und Uganda, asiatischen Ländern wie Indien und Pakistan sowie Menschen aus der Ukraine.
4. Sie entdecken neue Seiten an sich und erleben persönliches Wachstum
Dieser Aspekt gefällt mir besonders!:) Vielleicht haben Sie die Erfahrung schon gemacht: Wenn Sie Englisch oder eine andere Fremdsprache sprechen, nehmen Sie sich selbst anders wahr. Am Anfang ist da vielleicht Unsicherheit, doch wenn Sie ein gewisses Niveau erreicht haben und sich beweglich in der Sprache fühlen, entdecken Sie neue Seiten an sich. Denn wir verknüpfen Sprache immer auch mit Emotionen, Werten und Normen. Wir verbinden unterschiedliche Charakteristika mit einem chinesischen, spanischen oder englischen Muttersprachler. Diese Charakteristika leben wir beim Sprechen der Sprache oft auch selbst. Wir versuchen eine Annäherung an die kulturellen Normen des anderen, um die Verständigung zu erleichtern und den richtigen Ton zu treffen.
Wenn ich Deutsch spreche, fühle ich mich geerdet und habe einen direkten Zugang zu den Erlebnissen meiner Kindheit und Jugend. Ich spüre eine gewisse Schwere und tiefverwurzelte Emotionen. Im Englischen fühle ich mich freier und leichtfüßiger. Die Erlebnisse meiner Kindheit sind zwar zugänglich, präsentieren sich aber nicht in derselben emotionalen Tiefe. Das anderssprachige Narrativ schafft Distanz und neue, ungewohnte Perspektiven. Auch fällt mir diplomatisches Handeln im Englischen leichter.
Darüber hinaus machen Sie sich neue Redewendungen und Sprachbilder zu eigen und erweitern Ihre Ausdrucksfähigkeit. Ich mag das englische Idiom „food for thought“, wenn ich einen Gedanken anregend oder inspirierend finde. Die deutsche Übersetzung, „Denkanstoß“, klingt für mich eher gewaltvoll. Ich würde den Ausdruck im Deutschen nicht verwenden und freue mich, eine positiv konnotierte Variante im Englischen zu finden. Es gibt viele andere Beispiele für ausdrucksstarke Sprachbilder und Wendungen im Englischen:
- to juggle many tasks and responsibilities
viele Aufgaben und Pflichten gleichzeitig bewältigen - to pull the wool over somebody’s eyes
jemanden hinters Licht führen - to save for a rainy day
etwas auf die hohe Kante legen
Meine innere Bilderwelt ist mit solchen und vielen anderen Wendungen auf wunderbare Weise bereichert worden.
5. Sie erschließen sich neue berufliche Möglichkeiten
Vielleicht arbeiten Sie schon für einen sozialen Träger oder eine Bildungseinrichtung, die Menschen mit Migrationshintergrund unterstützt. Darüber hinaus eröffnen sich weitere spannende Optionen, wenn Sie Englisch sprechen. Hier sind einige Beispiele:
Große Unternehmen, in denen Menschen unterschiedlicher Herkunft arbeiten: Als psychosoziale BeraterIn oder CoachIn, die Englisch spricht, unterstützen Sie MitarbeiterInnen und Führungskräfte bei Problemen wie Stress, Konflikten am Arbeitsplatz, persönlichen Krisen, Suchtproblematiken und mehr.
Online-Beratung und Online-Therapie – Sie unterstützen KlientInnen weltweit, unabhängig von deren (oder Ihrem) Standort. Die Coronakrise hat hier als Katalysator gewirkt und remote working zur echten Alternative zu Präsenzarbeit gemacht. Online-Therapie und -Beratung erfahren heute eine deutlich größere Akzeptanz als noch vor drei Jahren.
Entwicklungszusammenarbeit – Sie unterstützen NGOs und Regierungsbehörden in englischsprachigen Ländern bei der Planung und Umsetzung von Entwicklungsprojekten. Ein kurzer Blick auf epojobs, einem Jobportal für die Entwicklungszusammenarbeit, zeigt mehrere Möglichkeiten: Gesucht werden u.a. ein Trainer für Konfliktbearbeitung und Mediation in Uganda, eine Friedensfachkraft zur Stärkung und Qualitätssicherung psychosozialer Angebote in Sierra Leone und eine Fachkraft für psychosoziale Begleitung in Südsudan. Verhandlungssicheres Englisch ist bei all diesen Jobs Voraussetzung.
Krisenmanagement – Sie arbeiten in Kriseninterventionsteams und unterstützen bei internationalen Notfällen und Naturkatastrophen. Die Arbeitssprache ist oft Englisch.
Relocation-Services – Sie unterstützen internationale MitarbeiterInnen bei der Eingliederung in Deutschland, helfen bei der Wohnungssuche, Schul- und Kindergartenanmeldungen und bei der Einrichtung von Bankkonten und Versicherungen.
Fazit
Sie sehen, es gibt gute Gründe, auf Englisch beraten und coachen zu können:
eine stärkere Nachfrage nach englischsprachigen Beratungen, Coachings und Therapien, persönliches Wachstum und neue berufliche Perspektiven – mit der englischen Sprache machen Sie Ihre Praxis zukunftssicher.
Kennen Sie andere Gründe? Und: Welche Gründe sind für Sie entscheidend?
Schreiben Sie mir gern! Ich freue mich, von Ihnen zu hören!
Ihre Nadine Seiler
September 2023
Quellen
Demografie Portal (2022): Herkunft von Zuwanderern
https://www.demografie-portal.de/DE/Fakten/zuwanderung-herkunft.html#:~:text=Im%20Jahr%202021%20sind%20rund,gefolgt%20von%20Polen%20und%20Bulgarien, Zugriff am 23.09.2023
epojobs.de
https://www.epojobs.de, Zugriff am 30.09.2023
Fritz, Nicole (2011): Zwei Sprachen, zwei Persönlichkeiten?
https://www.uni-mannheim.de/forschung-erleben/artikel/zwei-sprachen-zwei-persoenlichkeiten/, Zugriff am 30.09.2023
Statista (2023): Anzahl der Ausländer aus Indien in Deutschland von 2011 bis 2022
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/464123/umfrage/auslaender-aus-indien-in-deutschland/, Zugriff am 23.09.2023
Statistisches Bundesamt (Destatis) (2023): Nettozuwanderung von knapp 1,5 Millionen Personen im Jahr 2022
https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Wanderungen/_inhalt.html, Zugriff am 23.09.2023
Twain, Mark: Die schreckliche deutsche Sprache
https://www.viaggio-in-germania.de/twain-schreckliche-dt-sprache.pdf, Zugriff am 23.09.2023
ZDF (26.02.2023): Deutschkenntnisse zweitrangig: Scholz wirbt in Indien um IT-Fachkräfte, https://www.zdf.de/nachrichten/politik/scholz-indien-it-fachkraefte-zuwanderung-100.html, Zugriff am 23.09.2023
Nadine Seiler
Ich bin Sprachtrainerin für die psychosoziale Beratung auf Englisch sowie Herausgeberin und Autorin von Sprachführern zur professionellen Beratung auf Englisch, u.a. "Helfende Gespräche auf Englisch. Der umfassende Sprachführer für psychosoziale und pädagogische Arbeitsfelder".